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"Museum Ludwig im Russischen Museum" Katalog – 30. November 1997

Staatliches Russiches Museum, Sankt Petersburg, 1998

GOTTFRIED HELNWEIN

von Evgenija Petrova, Aleksandr Borovskij

Das menschliche Gesicht, besonders das kindliche, ist für Helnwein von größter Faszination und mithin eines seiner zentralen Bildsujets. Das hier vorgestellte monumentalisierte Gesicht eines kleinen Mädchens steht gleichsam stellvertretend für alle Kinder. Kinder sind in unserer profit- und leistungsorientierten Erwachsenengesellschaft beinahe als Randgruppe zu bezeichnen, fällt doch die Beachtung ihrer Interessen vergleichsweise bescheiden aus. Vor diesem Hintergrund ist die extreme Vergrößerung des Gesichtes in Verbindung mit der hyperrealistischen Auffassung als eine beklemmende Irritation unserer gewohnten Wahrnehmungserfahrung zu verstehen.

Seite 15

Der gegenwärtige Kunstprozeß ist definitiv kontextabhängig. Ohne die gesamte Situation der Weltkunst zu verstehen, kann der reale, nicht mythologisierte Wert konkreter Erscheinungen der russischen Kunst nicht bestimmt werden. "Deutscher Neoexpressionismus aus der Sammlung Sanders", "An der Grenze" (amerikanische Video-Kunst), "Gottfried Helnwein", "Installation von B.Eno" sind nur einige Beispiele für die im Rahmen des Projektes bereits veranstalteten Ausstellungen.

Von dem hohen Kulturwert des Projektes "Ludwig Museum im Russischen Museum" zeugt vielleicht am besten der Ausstellungsraum im Marmorpalast, ein mit hoher künstlerischer Spannung geladener Raum - eine anschauliche Umsetzung der Idee des allgemeinen Kontextes, in dem sich der gegenwärtige Kunstprozeß entwickelt.

DIE LUDWIG SCHENKUNG
Aleksandre Borovskij
Kurator für Moderne Kunst

HELNWEIN
Gottfried

Geb, 1948, Wien
Lebt und arbeitet in Köln, Irland und USA

Seite 278
"KINDSKOPF", 1991
Öl und Acryl auf Leinwand, 650 x 403, 5

Vorstufen zu diesem monumentalen Gemälde sind in Helnweins vielfach variierten Darstellungen leidender Kinder aus den 70er Jahren zu sehen, vor allem aber in der Kölner Installation "9. November Nacht", 1988.

Das menschliche Gesicht, besonders das kindliche, ist für Helnwein von größter Faszination und mithin eines seiner zentralen Bildsujets. Das hier vorgestellte monumentalisierte Gesicht eines kleinen Mädchens steht gleichsam stellvertretend für alle Kinder. Kinder sind in unserer profit- und leistungsorientierten Erwachsenengesellschaft beinahe als Randgruppe zu bezeichnen, fällt doch die Beachtung ihrer Interessen vergleichsweise bescheiden aus. Vor diesem Hintergrund ist die extreme Vergrößerung des Gesichtes in Verbindung mit der hyperrealistischen Auffassung als eine beklemmende Irritation unserer gewohnten Wahrnehmungserfahrung zu verstehen.

Ursprünglich wurde der "Kinderkopf" in einer Minoritenkirche in Krems, Stein gezeigt; und zwar an der zentralen Stelle eines frühgotischen Raumes, was dem Bild zweifelsohne eine sekrale Note verlieh.

Seite 274
"48 PORTRAITS", 1991
Photographie (Cibachrome)
Je 70 x 55

Knapp zwanzig Jahre später als Richters Portraitserie berühmter Männer schuf Helnwein 48 Frauenportraits, die hier in der photographischen Version vorliegen. Ausgehend von der öffentlich geäußerten Empörung der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer übt die Darstellung ausschließlich männlicher Prominenz, konzipiert Helnwein die Frauenserie als Pendant und künstlerischen Gegenentwurf.

Im Gegensatz zu Richter, dessen Auswhal sich vorrangig am formalen Kriterium der Kopfhaltung bzw. Blickrichtung orientierte, wählte Helnwein in viel stärkerem Maße personen- bzw- persönlichkeitsorientiert aus und erstellte überdies eine knappe Dokumentation. Sein Panorama versammelt historische und zeitgenössische Persönlichkeiten, die das kulturelle und wissenschaftliche Leben des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts prägten. Dabei bezieht er auch den Bereich der populären Musik-kultur, des Comics und der Kinderbuchliteratur mit ein: neben Literatinnen, Lyrikerinnen, Künstlerinnen, Schauspielerinnen zeigt Helnwein den Pop-Star Tina Turner, die Mickey-Maus-Übersetzerin Erika Fuchs oder die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Ergänzend zu Richters Einstein-Portrait erscheint hier Mileva Einstein, die erste Frau des Physikers.

Seite 280
"PORTRAITS DES EHEPAARES PETER UND IRENE LUDWIG", 1995
Öl und Acryl auf Leinwand
Je Tafel 198,5 x 139,5

Helnweins Interessenschwerpunkt liegt im Studium des menschlichen Gesichtes. Neben unbekannten Individuen - darunter vielfach Kinder - portraitierte er zahlreiche Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Die Portraits des Ehepaares Ludwig sind als monumentale Diptychen ausgeführt, deren linker Flügel jeweils ein hyperrealistisch formuliertes Bildnis zeigt und der rechte dasselbe monochrom wiederholt. Helnwein sieht diesen Typus des Bildnisses in der Tradition des offiziell-herschaftlichen Portraits. Die Bildnisse sind nicht für einen privaten, sondern für einen repräsentativen öffentlichen Raum konzipiert. Bei Helnwein wuchs die Überzeugung, daß zum vollständigen Begreifen einer mitunter höchst komplexen Persönlichkeitsstruktur ein Bild allein nicht ausreichen kann. Folgerichtung ist die dunkle Version des Portraits als ein Versuch zu verstehen, die intellektuellen und psychischen Gegebenheiten bildlich zu erfassen oder doch zumindest zu berücksichtigen.

http://www.gottfried-helnwein-interview.com/